Sie ist 27. Ich bin 48. Und ich habe bis vor kurzem nicht verstanden, warum gerade sie unsere Meetings so viel produktiver macht. Dabei ist es eigentlich ganz einfach.

Wir sind ein kleines Team, und deshalb kennen wir uns eigentlich alle ziemlich gut. Die meisten von uns sind eher extrovertiert, deshalb kämpfen wir in Meetings oft um Redeanteile. Und manchmal auch darum, wer Recht hat. Nun beobachte ich seit Jahren, wie eine junge Kollegin immer und immer wieder die Richtung eines Meetings oder eines Gesprächs verändert, indem sie einfach sagt, was sie wahrnimmt.

Häufig sagt Céline so etwas wie „Ich habe gerade den Eindruck, dass wir diesem Thema mehr Zeit widmen sollten, als die Agenda hergibt. Wie wollen wir damit umgehen? Wollen wir dazu einen extra Termin vereinbaren?“ Oder sie sagt: „Ich bin nicht ganz sicher, aber irgendetwas ist da zwischen X und Y – und vielleicht wäre es gut, wenn ihr zwei das zuerst untereinander klärt.“ Oder „Können wir noch einmal einen Schritt zurücktreten und überlegen, ob wir uns da nicht zu viel vornehmen? Mir scheinen die Aufgaben für die nächsten Monate zu viel und ich kann das gar nicht alles leisten. Wie geht es euch?“

Ich fand diese Einwürfe schon immer großartig, weil sie ganz ohne Aggression und Vorwürfe einen Moment des Innehaltens erwirkt haben. Sehr viele Besprechungen haben durch ihre Beobachtungsgabe und Intervention einen deutlich produktiveren Charakter bekommen. Ich beobachte seit Jahren mein eigenes Verhalten in Besprechungen und merke immer wieder, dass ich (ungewollt) innerlich die Augen rolle, wenn mir etwas nicht schnell genug geht oder wie ich provoziere, wenn ich eine Argumentation nicht schlüssig finde. Mein Verhalten führt dabei eher in die Eskalation, in den Kampf. Es geht ums Gewinnen, nicht um die beste Lösung. Und meist geht mit diesem Kampf eine Abwertung einher: Du bist schlechter, ich bin besser.

Meine Kollegin Céline ist 27 Jahre alt. Ich bin 48. Lang habe ich probiert, die Haltung und die Redewendungen der Kollegin zu kopieren. Aber es fiel mir sehr schwer. Letztes Jahr haben wir dann einen Teamtag gemacht und haben den #workhack Bio-Sharing angewendet. Wir haben uns also gegenseitig erzählt, woher wir kommen, was uns geprägt hat, worauf wir stolz sind, was uns im Leben misslungen ist und was die anderen über uns wissen sollten, um gut mit uns zu arbeiten. Über Céline habe ich gelernt, dass sie diese gewaltlose, respektvolle Kommunikation in ihrem Elternhaus gelernt hat. Schule und Freundeskreis haben das sogar irgendwie befördert – allem Anschein nach ist sie nicht nur in einer anderen Zeit, sondern auch in einem anderen Zeitgeist groß geworden.

Abwertungen

Ich selbst bin nicht so aufgewachsen. Immer, wenn ich in mein Heimatdorf fahre und mit meiner Familie, Nachbarn oder alten Freunden spreche, bemerke ich die Abwertungsfalle: „Dem hab ich’s mal so richtig gezeigt“, oder „Hast Du die Schuhe gesehen? Und das bei einer Kommunion!“, oder „Der kriegt ja wirklich gar nichts auf die Kette – kein Wunder bei den Eltern!“ Ganz ehrlich? Fällt die Abwertung weg, haben sich 50% der Kommunikation dort erledigt.

Abwertungen bedrohen die Atmosphäre, die Produktivität und die psychologische Sicherheit. Das ist der Grund, warum ich in meinem Heimatort nie wieder wohnen könnte. Ich würde mich vermutlich in den Sog ziehen lassen – und immer weniger spüren, wie giftig es ist. Kein Wunder also, dass ich die Zeit mit Céline und anderen Menschen, die ihr ähneln, genieße – egal ob in einer Besprechung oder beim gemeinsamen Abendessen.