Wir führen in einem Team eines großen Automobil-Zulieferers den vierten und somit letzten #workhack ein. Die ersten drei #workhacks haben wir im Verlauf der letzten sechs Monate eingeführt. Wie solch ein Workshop aussieht, erzählen wir im folgenden Beitrag.

Dienstag, 8 Uhr. Ich bereite den Raum für die erste Abteilung vor. Heute und morgen werde ich drei Teams das vierte und letzte Mal sehen. Endspurt.

Um 8:30 geht es los: Zum Start malen alle einen Smiley mit variierenden Mündern, je nach Stimmung. „Wie startet ihr heute in den Workshop?“, lautet meine enthusiastische Frage. Die meisten landen bei einem geraden Strich als Mund. Na ja, hochmotiviert ist anders.

Ich stelle die Agenda vor:

  • Rückblick auf die drei bereits eingeführten #workhacks in den letzten sechs Monaten
  • Anpassung besprechen
  • Was habt Ihr gelernt? / Was hat geholfen? / Was hat gefehlt?
  • Erarbeiten eines Systems für die kontinuierliche Fortführung des Prozesses

„Kannst Du nochmal sagen, wer Du eigentlich bist?“

Ein neues Gesicht meldet sich. „Kannst Du nochmal sagen, wer Du eigentlich bist?“ Ich grinse – vergesse manchmal, dass immer wieder neue MitarbeiterInnen dazu kommen und nicht unbedingt von den KollegInnen inhaltlich abgeholt wurden. Im Schnelldurchlauf erkläre ich, dass ich die Gründerin von #workhacks bin. Dass wir alle zwei Monate eine Veränderung (#workhack) im Team einführen und in den Workshops regelmäßig miteinander besprechen, ob die Veränderung gut tut und was wir anpassen sollten. „Eure Gruppe hat sich bisher für die Fokuszeit, die Feedback-Karte und das Daily mit Kanban entschieden. Ich hoffe, du hast davon gehört“, schließe ich wieder breit lächelnd ab. Er nickt heftig. Gut – soweit ist das also bei allen angekommen.

Ich frage in die Runde: „Wie läuft die Fokuszeit?“ Frank und Janina, die beiden Paten, melden sich zu Wort: „Seit dem letzten Telefonat mit Dir haben wir keine großen Änderungen vorgenommen. Klappt aber auch gut. Wir haben ja die Uhrzeit geändert auf 10:30 bis 11:30 Uhr. Seitdem haben wir keine Klagen mehr gehört.“ Ich schaue in die Runde und frage, ob die eine Stunde ohne Telefon, Meetings und Unterbrechungen noch hilfreich ist. Allgemeines Nicken. Ich warte noch einen Moment, um Raum zu geben für ein „Aber“, kommt aber nicht. An der Stelle scheint alles gut zu sein.

„Ok, dann kommen wir zur Feedback-Karte“. Ich schaue die Paten an. Die Patenschaft hatten Michael und Jessica übernommen – mit vollem Elan, wie ich mich entsinne. „Wie läuft’s da?“ Betretenes Schweigen, bis Jessica das Wort ergreift: „Ehrlich gesagt läuft das nicht so gut. Wir tun uns echt schwer, uns gegenseitig auf Kommando Feedback zu geben. Meist reden wir ja sofort miteinander, wenn etwas nicht passt.“ Die Idee der Feedback-Karte ist das regelmäßige gegenseitige Feedback-Geben auf Augenhöhe nach dem Pull-Prinzip. Man darf nach Feedback fragen, nicht einfach Feedback geben. So sollte der Austausch unter den KollegInnen intensiviert und auch ehrlicher werden. Aber Jessicas Argument hören wir oft.

Bloß nicht überreden

Ich atme ein und aus. Jetzt bloß nicht überreden. Wenn ein #workhack nicht passt, passt es nicht. Das ist die Maxime bei uns und daran werde ich mich halten, auch wenn ich mich manchmal zügeln muss. Beraterkrankheit – es immer besser für die anderen zu wissen. Ich versuche es mit einer Frage: „Ihr habt beim letzten Workshop mal eine Runde mit der Karte ausprobiert, auch wenn ich Euch, sagen wir, sehr ermuntern musste. Wenn ich mich recht entsinne, wart Ihr danach recht überzeugt. Was hat sich geändert?“ Nun ist Michael dran: „Es fühlt sich einfach nicht natürlich an, zu einem vorgegebenen Zeitpunkt Feedback einzufordern. Wir haben ein paar Anläufe gemacht und die Karten wurden aber eher selten verteilt. Ich denke, wir machen das besser spontan.“ Ich werde nicht sagen, dass die Chancen dafür nicht gut stehen. Mich erstaunt immer wieder, wie schwer die Menschen sich mit Feedback tun. Bei uns im Team haben wir uns angewöhnt, nach jedem gemeinsamen Workshop Zeit für Feedback einzuplanen. Da geben wir sehr detaillierte Rückmeldungen – von Körpersprache über Redewendungen, die wir benutzen bis hin zur Schrift auf dem Flipchart. Wir lassen nichts aus und lernen im Supertempo voneinander. Aber in Unternehmen ist das einfach nicht gängig und setzt eine Menge Vertrauen voraus.

Ich lasse also los und frage: „Wollt ihr die Feedback-Karte also abschaffen oder anpassen?“ Gemurmel setzt ein, das Kopfschütteln der meisten zeigt mir, dass es die Feedback-Karte wohl nicht schafft. Ich mache den Vorschlag, die Feedback-Karte hiermit offiziell zu verabschieden. Da meldet sich Rainer: „Ich fand sie eigentlich gut. Im Moment haben wir keine besonders gute Stimmung im Team. Ich hab‘ den Eindruck, dass wir uns besser kennen müssten. Also manche kenne ich ja richtig gut, aber wir haben ja auch neue Kolleginnen, von denen weiß ich kaum was Persönliches. Wir sind gerade zu wenig als Team, sondern mehr als Einzelkämpfer unterwegs – das passt mir schon länger nicht und ich bin ein bisschen enttäuscht. Ich fand ja von Anfang an das Bio-Sharing gut. Da geht’s doch darum, dass jeder persönliche Fragen beantwortet, um ein besseres Verständnis für einander zu bekommen, oder?“ Ich nicke. „Genau darum geht es.“

Ich mache ihn nochmal mit unseren Bio-Sharing-Fragen vertraut: „Woher komme ich (auf Familie bezogen)? Was hat mich geprägt? Worauf bin ich stolz? Welche Rückschläge habe ich in meinem Leben eingesteckt? Und schließlich die Frage: Was sollten die anderen über mich wissen, um richtig gut mit mir zu arbeiten?“ Ich ergänze, dass die Fragen variieren können und dass niemand die Fragen beantworten muss – dass es eine freiwillige Veranstaltung ist. Ich sehe nachdenkliche Gesichter in der Runde und ermuntere zur Diskussion. Schließlich einigt sich die Gruppe darauf, einen Grillabend zu organisieren und die Fragen zu diskutieren. Jetzt braucht es nur noch zwei Paten, die sich darum kümmern und auch die sind schnell gefunden.

Ich gebe noch zwei Tipps: zum einen, die Fragen vorher in der Gruppe zu diskutieren, damit sich alle damit wohl fühlen und sich niemand völlig überfordert fühlt. „Ein bisschen Überforderung schadet manchmal nicht, aber jeder soll sich noch mit seinen Antworten wohl fühlen“, füge ich noch hinzu.

Der zweite Tipp lautet: Lasst denjenigen oder diejenige starten, der oder die besonders offen ist. Das setzt den Ton und auch die Intensität. Und am besten gebt ihr jedem die gleiche Redezeit – unserer Erfahrung nach sollten das um die 20 Minuten pro Person sein. Jessica meldet sich nochmal zu Wort: „Ich möchte noch kurz sagen, dass ich das richtig gut finde, dass Rainer das angesprochen hat. Ich hab in den letzten Monaten auch kein richtig gutes Gefühl hier im Team und kann mir vorstellen, dass uns das Bio-Sharing wirklich helfen kann. Danke Rainer.“

Ich fasse nochmal zusammen: „Die Feedback-Karte wird also abgeschafft und dafür macht ihr in den nächsten Wochen ein Bio-Sharing, um das sich die Paten kümmern. Hat jemand ein Veto?“ Allgemeines Kopfschütteln. Wunderbar, weiter geht’s. Nun besprechen wir das Daily mit Kanban. Die Paten berichten, dass das gut läuft und dass sie jetzt daran arbeiten, eine Software für das Kanban-Board einzurichten. Die physischen Boards haben den Nachteil, dass man unterwegs nicht drauf zugreifen kann. Es wurde bereits eine Software ausgewählt und die wird gleich im Anschluss an unseren Workshop vorgestellt.

Gelernt / Geholfen / Gefehlt

Ich komme zum nächsten Agendapunkt, für den ich drei Flipcharts vorbereitet habe mit den Überschriften: Gelernt / Geholfen / Gefehlt. Nun bitte ich die Gruppe, die Überschriften mit Post-Its zu füllen. Sie haben ja bereits drei #workhacks ausprobiert und ich bin gespannt, was sie insgesamt daraus ziehen. Ich bitte darum, dass das jedeR für sich überlegt und gebe sechs Minuten Zeit. Hier ein paar Antworten:

Zu Gelernt:

  • dass Änderung ohne Management möglich ist
  • dass #workhacks keine Selbstläufer sind – man muss sich darum kümmern
  • es ist schwer, alle unter einen Hut zu bekommen
  • Ausprobieren hilft!
  • Timeboxing hilft zu fokussieren
  • der Umgang ist offener geworden
  • die Meinung von allen anzuhören

zu Geholfen:

  • klare Struktur
  • ständige Anpassungen
  • Reden und verstehen
  • die positiven Feedbacks
  • Reflektion
  • einer, der sagt, wie man anfängt
  • dass wir Feedback nicht erzwingen
  • die Regelmäßigkeit
  • einfache Ansätze

zu Gefehlt:

  • Wir-Gefühl
  • bedingungsloses Umsetzen
  • echtes Zuhören
  • dass alle wirklich Ja sagen und dabeibleiben
  • Zeit
  • dass nicht immer alle bei den Workshops dabei waren
  • dass man nicht informiert wurde, wenn man mal gefehlt hat

Jeder stellt nun kurz seine Antworten vor und wir diskutieren gemeinsam, was sie erlebt haben. Besonders viel Wert lege ich an dieser Stelle darauf zu betonen, wie viel sie geschafft haben. Sie haben in den letzten Monaten drei Veränderungen ausprobiert und hatten dabei nur minimale Unterstützung durch mich und unser #workhacks-System. Ich möchte damit die Gruppe unterstützen, sich den nächsten Änderungen mit viel Selbstvertrauen zu widmen – schließlich wissen sie ja jetzt, wie es geht.

Lernen, selbständig Veränderungen einzuführen

Das ist auch ein guter Übergang für den letzten Agendapunkt: das Erarbeiten eines Systems für die kontinuierliche Fortführung des Prozesses.

Ich erläutere, dass die letzten Monate nicht nur dazu da waren, die drei #workhacks einzuführen und anzupassen, sondern dass sie jetzt auch gelernt haben, selbständig Veränderung einzuführen. Das führt zu Erstaunen, sich anschauen, skeptischen Blicken und leichtem Kopfnicken. Ich zeige auf die Post-Its. „Seht mal, da steht alles. Ihr wisst jetzt, dass Änderungen ohne Management möglich ist, dass man sich um Änderungen kümmern muss und das Ausprobieren hilft. Ist doch super. Ihr wisst schon so viel! Ihr habt herausgefunden, dass eine klare Struktur und permanente Anpassung hilft, dass ihr Reflexionen braucht und dass ihr einen Rhythmus – oder Regelmäßigkeit benötigt. Und ihr wisst, dass man dran bleiben muss – sonst wird es nichts. Ich wiederhole nur, was ihr aufgeschrieben habt, aber besser hätte ich es auch nicht sagen können.“ Jetzt bin ich in Fahrt – wir kommen zu des Pudels Kern.

„In den nächsten 45 Minuten möchte ich mit Euch ein System erarbeiten, das Euch dabei hilft, Eure Zusammenarbeit regelmäßig zu reflektieren und Anpassungen vorzunehmen. Was haltet Ihr davon?“

Gemurmel, wieder skeptische Blicke: „ich fände es schon besser, wenn Du uns noch ein paar Monate begleitest. Wir wissen einfach noch nicht genug und kennen die #workhacks nicht gut genug“ sagt Martin, einer der Teilnehmer. „Das rührt mich natürlich und ich würde Euch unheimlich gern noch viele Monate begleiten, aber jetzt mal ehrlich, Ihr habt alles was Ihr braucht. Und was ihr nicht wisst, könnt ihr in unserem #workhacks-Club auf Slack nachfragen. Wir haben einen Club auf Slack gegründet – das ist ein online basiertes Chat-Programm – in das wir alle #workhacks-Gruppen einladen, um mit uns auch dauerhaft in Kontakt zu bleiben. Ihr erzieht Eure Kinder, baut Häuser, kauft Autos, entwickelt neue Technologien für die Automobilindustrie, geht zur Eheberatung, was auch immer. Da werdet Ihr doch locker Eure Zusammenarbeit ständig anpassen.“ Ich weiß, wie schwer es ist, an der Zusammenarbeit zu arbeiten, aber es wird ja nicht dadurch besser, es noch zu betonen. Also tue ich ein bisschen so, als wäre es nicht so schwer – das soll die Hemmschwelle senken, es wirklich zu tun.

Als nächstes empfehle ich Ihnen, die Retrospektive einzuführen. Ein Meeting-Format, das ich bei SCRUM gelernt habe. Bei der Retro diskutiert das Team ausschließlich die Qualität der Zusammenarbeit. Die Leitfragen dürfen sich verändern, aber man kann gut starten mit den drei Fragen:

  • Was läuft gut in der Zusammenarbeit?
  • Was läuft nicht so gut?
  • Was wollen wir ausprobieren?

Dieses Format empfehle ich im Monatsrhythmus durchzuführen. Mit der Personalabteilung haben wir bereits vor Monaten gesprochen und ein Training für die Retro-Moderation empfohlen. Daraufhin haben sich 12 Personen aus dem Unternehmen gemeldet. Ich frage, ob jemand aus dieser Abteilung auch bei dem Training dabei war. Katja meldet sich: „Ja, die hab ich mitgemacht. Ist jetzt schon 3 Wochen her und ich würde jetzt tatsächlich gern mal eine Retro moderieren – sonst vergesse ich alles wieder.“

Wir überlegen gemeinsam, ob der Rhythmus gut ist, legen Katja als erste Moderation fest und besprechen auch, dass sie das nicht immer machen soll, damit sie auch Gelegenheit findet, ihre eigenen Themen als Teilnehmerin anzusprechen. Es wird nach dem ersten Mal ein anderer Kollege gefragt, der auch das Training absolviert hat.

Dann gehen wir noch genau Zielstellung, Ablauf und Besonderheiten der Retro durch, verabreden Rhythmus, Ort und Details.

Schließlich blicke ich in die Runde und frage: „Wie sicher seid Ihr, dass Euch die Retro hilft, Eure Zusammenarbeit zu verbessern. Gern auf einer Skala 1-5:

1 = überhaupt nicht
5 = total

Die TeilnehmerInnen zeigen mit den Fingern ihre Zahl. Ich sehe nur 4en und 5en.

Zweite Frage: „Wie sicher fühlt Ihr Euch, die Retro durchzuführen?“

Wieder nur 4en und 5en.

Nun kommt die letzte Frage: „Wie wichtig ist Euch die Verbesserung der Zusammenarbeit?“

Nur 5en.

„Danke. Das gibt mir eine Idee davon, wie ernst es Euch damit ist. Ich wünsche Euch, dass Ihr Euch an die 5 erinnert, wenn Ihr dabei seid, eine Retro ausfallen zu lassen. Das wird sicher passieren – die Frage ist nur, wie Ihr damit umgeht. Behaltet sie bei – sie ist der Garant für Entwicklung.“

Wir applaudieren uns gegenseitig herzlich, die ein oder andere Umarmung fehlt auch nicht und schließlich flüstert mir eine Teilnehmerin zu: „Du, Deinen Job hätte ich auch gern. Das ist ja sooo spannend, was Du machst.“

Das finde ich allerdings auch. Ich hab den tollsten Job der Welt.